Sandstürme zwangen zur Aufgabe
Uni Göttingen und Verein Rauzwi beenden Freitag Grabung an frühmittelalterlicher Siedlung in Liebenau
VON ARNE HILDEBRANDT, die "Harke" vom 27. August 2019
LIEBENAU. Sandstürme haben den Bewohnern der sächsisch-karolingischen Siedlung an der Steyerberger Straße (Landesstraße 330) in Liebenau vor rund 1200 Jahren das Leben so schwer gemacht, dass sie den Ort aufgaben und weiterzogen. Das berichtet Grabungsleiter Tobias Scholz. „Es gibt keine Hinweise darauf, dass sie fluchtartig verlassen wurde, weder durch einen Brand noch durch Kämpfe.“
In der Siedlung, die auf einer Düne liegt, lebten rund 30 Menschen in Großfamilien. „Es könnten aber durchaus auch 100 gewesen sein“, so Scholz. Denn die Siedlung scheint sich noch rund 80 Meter weiter südlich der Steyerberger Straße ausgedehnt zu haben. Das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Göttingen setzt bis Freitag die Grabung an der sächsischkarolingischen Siedlung in der Nähe des altsächsischen Gräberfelds von Liebenau/ Steyerberg fort. Es ist die vorerst letzte von insgesamt drei Grabungen, die unter Leitung von Tobias Scholz mithilfe von Archäologiestudenten und ehrenamtlichen Helfern des Vereins „Rauzwi - Lebendige Archäologie Mittelweser“ läuft.
Seit dem 23. Juli sind die Ärchäologen wieder auf den Spuren der Siedler, die dort im achten und frühen neunten Jahrhundert gelebt haben. Die sächsisch-karolingische Siedlung befand sich auf einer Düne. Die Düne selber lag auf einer Landzunge zwischen der Großen Aue im Norden und der Weser im Süden. Der Standort war nach Norden und Süden hin von Wasser umgeben.
Gestern wurden die Grabungsergebnisse präsentiert. Außergewöhnlich groß ist die Menge der Schlackefunde: 160 Kilo kamen ans Tageslicht, außerdem 60 Kilo Metallobjekte. Die Siedler waren Ackerbauern, Viehzüchter und Fischer. Sie waren aber auch Eisenschmiede. „Diese Kombination macht diese Siedlung archäologisch sehr interessant“, sagt Scholz. „Es war ein Handelsposten“, sagte Dr. Daniel Lau, Kommunalarchäologe der Schaumburger Landschaft. Bei den drei Grabungen konnten zwei sächsische Grubenhäuser vollständig freigelegt werden.

Die Studentinnen Annia Fittschen (links) und Annika Wellner (rechts) sieben den Sand, dahinter (von links) Michael Duensing vom Landschaftsverband Weser-Hunte, Grabungsleiter Tobias Scholz, Dr. Daniel Lau, Kommunalarchäologe der Schaumburger Landschaft, und Rauzwi-Kassenwart Hans-Albert Bremer.
Ferner wurden zahlreiche Pfostenreihen eines Langhauses entdeckt. Die Langhäuser, eine Art Vorgänger des Niedersachsenhauses, wo Mensch und Vieh gemeinsam unter einem Dach wohnten, hatten Gebäudelängen zwischen 15 und 30 Metern und Gebäudebreiten von fünf bis sechs Metern. Umfangreiche Süßwassermuschelfunde förderten zutage, dass die Siedler nicht nur Ackerbauern, Viehzüchter, Metallurgen und Eisenschmiede, sondern zugleich auch Fischer waren. Bisher wurden weit über 10 000 Scherben aus dem achten und neunten Jahrhundert gefunden. Zu den besonderen Funden zählt das Fragment eines Glättglases. Solche Glättgläser wurden vermutlich als Bügeleisen benutzt.
Auch Schmuckstücke der Altsachsen, wie etwa zwei vollständige Fibeln und die Füllmasse einer Scheibenfibel, konnten geborgen werden. Ein besonderer Fund war auch eine umgearbeitete Münze von Ludwig dem Frommen, dem Sohn und Nachfolger Karls des Großen. Ludwig der Fromme war von 813 bis 840 Kaiser des Fränkischen Reiches. „Gerade auch dieser Fund gibt sehr gute Hinweise auf den zeitlichen Rahmen der Besiedlung“, so Scholz. Gefunden wurden auch Reifenspuren und Pflugspuren. Scholz meint sogar Fußspuren entdeckt zu haben. Ganz sicher sei er sich aber nicht.
Für die insgesamt dreijährige Grabung konnte der Verein Rauzwi umfangreiche Fördergelder einwerben, unter anderem von der BingoStiftung und dem Landschaftsverband Weser-Hunte. Auch die Samtgemeinde Liebenau, der Flecken Steyerberg, die Volksbank Nienburg und private Sponsoren aus Steyerberg und Liebenau unterstützen die Grabung.
Genauere Ergebnisse werden erst nach der endgültigen wissenschaftlichen Auswertung der zahlreichen Funde und Befunde vorliegen. Diese werden dann in einer Veröffentlichung publiziert. Die Planungen sehen zudem vor, dass das Projekt weiter fortgesetzt wird. Dafür setzt sich auch Kommunalarchäologe Lau ein: „Es ist ein einzigartiger Fundplatz. Hier ist noch mehr zu erwarten.“ Der Flecken Steyerberg und die Samtgemeinde Liebenau unterstützen die Rauzwi-Aktivitäten rund um das Sächsische Gräberfeld. Gemeinsames Ziel ist es, das Sächsische Gräberfeld von Steyerberg/Liebenau zu einem regional und überregional bedeutsamen Kultur- und Bildungsort zu entwickeln.

Grabungsleiter Tobias Scholz vor dem Rest eines Grubenhauses.

Diese Studenten tragen den Sand behutsam ab.